Samstag, 2. Mai 2020

2.5.2020




Ein ganz besonderer Tag in meinem Leben.

Mit vier Jahren durfte ich wieder einmal ein paar Tage bei meiner Oma verbringen. Das war das Schönste für mich. Sie hatte einen kleinen Bauernhof und wohnte in einem alten Bauernhaus. Wasser gab es beim Brunnen vor dem Haus, das Plumpsklo war beim Misthaufen hinter dem Stall. Weil das Klo für mich viel zu hoch und die Öffnung viel zu weit war, ich konnte da leicht durchfallen, hat mir der Opa ein kleines, daneben gezimmert. Es hatte kein Häuschen darüber mit einer Tür und einem Herz, wie das große. Es war ein Freiluftklo. Wenn ich es benutzte, spazierten die Hühner singend an mir vorbei und ich konnte in die Gegend schauen. In der Nacht schlief ich mit meiner Oma zusammen im Bett. Wir schliefen auf einem Strohsack, der mit Maisfedern gefüllt war. Das raschelte so schön, wenn wir uns bewegten. Das Gewicht meiner Oma, die natürlich schwerer war als ich, machte im Strohsack bald eine Vertiefung, in die ich immer hineinrutschte. Das war nicht so angenehm. Ich klebte da förmlich an meiner Oma. Trotzdem fühlte ich mich total geborgen. In der Früh wurde der Strohsack wieder aufgeschüttelt. Er hatte in der Mitte einen langen Schlitz, durch den man hineingreifen konnte um die Maisfedern aufzulockern.
An diesem besonderen Tag, von dem ich erzählen möchte, kam mein Vati mit dem Fahrrad. Er war verschwitzt und ganz aufgeregt, wie ich ihn vorher noch nicht erlebt hatte. Er sagte mir, dass ich einen kleinen Bruder bekommen habe und er mich mit dem Rad abholen will. Ich kann mich erinnern, dass ich so gelacht habe, ich konnte gar nicht aufhören. Die Freude von Vati ist auf mich übergesprungen und wir lachten und lachten. Natürlich fuhr ich mit Begeisterung mit. Er hatte ein altes Waffenrad, auf dem vorne am Lenker ein Kindersitz montiert war. Er hob mich hinein, ich saß gegen die Fahrtrichtung.  Also konnten wir uns gut unterhalten. Vati radelte bergauf und bergab. Eine Strecke bestimmt 20 km. Es war eigentlich ein Wunder. Er hatte die Geburt miterlebt und dann mich abgeholt. Die Freude hat ihm Bärenkräfte geschenkt.
Zuhause angekommen, führte er mich zu einem Körbchen, das hinter den Ehebetten stand. Darin schlief der kleine Bruder. Ein winziges Baby. Es war eine eigenartige Atmosphäre. Eine fremde Frau war da, die mich fragte, ob ich den kleinen Bruder behalten wolle. Natürlich wollte ich das. Wenn es mir auch nicht bewusst war, was das bedeutet, so habe ich doch die Freude von Vati gespürt. Ich wusste deshalb, dass es was ganz besonderes und schönes sein muss. Die fremde Frau, die Hebamme, sagte, dann müsse ich ihn auch bezahlen. Ich holte gleich mein rosa Plastiksparschwein und schüttelte zwei Schilling heraus. Das war der Preis. Das konnte ich mir leisten. Ich war froh, dass sie ihn nicht wieder in die große Tasche gepackt hat, als sie wegging, in der sie ihn bestimmt hergebracht hatte. Das Dumme für mich war, dass gerade jetzt Mutti krank werden musste. Sie lag nämlich in ihrem Bett und durfte nicht aufstehen.
Ab jetzt war ich Besitzerin eines kleinen Bruders. Ich wollte ihn natürlich auch herumtragen. Das durfte ich nicht. Obwohl ich sagte, dass er mir gehört, konnte ich mich nicht durchsetzen. Nur wenn ich auf dem Bett saß, durfte ich ihn halten.
Ich hoffe, dass er später nicht zu oft zu spüren bekommen hat, dass er mir gehört.

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